An vintage advertisement for 'Syrup of Figs' showing a woman picking figs from a tree, surrounded by decorative leaves.
Illustration einer Cassia-Pflanze mit Blättern, Blüten und Stäbchen. Details der Zimtstangen (Ceylon- und Batavia-Zimt), chinesisches Cassia, Saigon- und China-Cassia-Rollen sowie Cassia-Knospen.

Ein Einstieg in die Welt der Phytotherapie: Was sind pflanzliche Arzneimittel?

Haben Sie sich je gefragt, wie aus Pflanzen Medizin wird? Von der Kamillenblüte im Tee bis zur Tablette aus der Apotheke – der Weg ist faszinierender und wissenschaftlich fundierter, als viele annehmen. Die Lehre von den Arzneimitteln biogener Herkunft, die sich mit der Heilkraft von Pflanzen beschäftigt, nennt man Phytotherapie. Es handelt sich um eine multidisziplinäre Wissenschaft, die auf den Grundlagen der Biologie, der bioorganischen Chemie, der Biochemie und der Pharmakologie aufbaut.

1. Was ist Phytotherapie? Eine erste Definition

Die Phytotherapie ist die wissenschaftlich fundierte Anwendung von pflanzlichen Arzneimitteln zur Vorbeugung, Linderung und Heilung von Krankheiten. Es geht hierbei nicht um überlieferte Hausmittel, sondern um eine Therapierichtung, die auf den nachweisbaren Wirkungen von Pflanzeninhaltsstoffen beruht. In Deutschland ist die Phytotherapie im Arzneimittelgesetz offiziell als eine „besondere Therapierichtung“ anerkannt und unterliegt, wie alle Arzneimittel, strengen gesetzlichen Regelungen für Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit.

Die Grundlage für jedes pflanzliche Arzneimittel ist jedoch immer die Pflanze selbst – die sogenannte Arzneipflanze.

2. Die Basis: Von der Arzneipflanze zur Arzneidroge

Eine Arzneipflanze ist eine Nutzpflanze, deren Teile für medizinische Zwecke verwendet werden. Dabei ist es unerheblich, ob sie gezielt angebaut wird (Kulturpflanze) oder an ihrem natürlichen Standort gesammelt wird (Wildpflanze).

Für die Herstellung eines Medikaments wird jedoch selten die frische Pflanze verwendet. Stattdessen wird sie zu einer Arzneidroge verarbeitet. Darunter versteht man die getrockneten und aufbereiteten Pflanzenteile – zum Beispiel Blätter, Blüten, Wurzeln oder Samen –, die als Ausgangsmaterial für die Arzneimittelherstellung dienen.

Die Qualität dieser Drogen ist entscheidend für die Sicherheit und Wirksamkeit des späteren Medikaments. Das Europäische Arzneibuch (Ph. Eur.) legt daher strenge Kriterien fest:

Identität: Es muss eindeutig sichergestellt werden, dass es sich um die korrekte Stammpflanze handelt, um Verwechslungen mit unwirksamen oder gar giftigen Pflanzen auszuschließen.

Reinheit: Die Droge wird auf Verunreinigungen geprüft. Dazu gehören Rückstände von Pestiziden, Schwermetalle (z. B. Blei, Cadmium und Quecksilber) oder mikrobiologische Belastungen (z. B. Schimmelpilze).

Gehalt: Die Konzentration wichtiger, charakteristischer Inhaltsstoffe wird gemessen. Das Arzneibuch schreibt oft einen Mindestgehalt vor. Diese Messung dient als Qualitätsmarker, repräsentiert aber nicht zwangsläufig den einzigen wirksamen Bestandteil, da oft viele Stoffe zur Gesamtwirkung beitragen.

Erst wenn die Arzneidroge diese Prüfungen bestanden hat, kann aus ihr ein fertiges Arzneimittel, ein sogenanntes Phytopharmakon, hergestellt werden.

3. Der Weg zum Medikament: Was ist ein Phytopharmakon?

Ein Phytopharmakon ist ein zugelassenes Fertigarzneimittel (z. B. eine Tablette, Kapsel oder Tinktur), dessen wirksame Bestandteile ausschließlich aus pflanzlichen Drogen oder Zubereitungen daraus stammen. Meistens ist der Wirkstoff ein Pflanzenextrakt.

Die Herstellung eines solchen Extraktes folgt einem präzise definierten Prozess:

1. Zerkleinerung: Die Arzneidroge wird geschnitten oder zu Pulver vermahlen. Dadurch wird die Oberfläche vergrößert, was den nächsten Schritt effizienter macht.

2. Extraktion: Die zerkleinerte Droge wird mit einem geeigneten Lösungsmittel (z. B. einer Wasser-Alkohol-Mischung) versetzt. Dieses löst die gewünschten Inhaltsstoffe aus dem Pflanzenmaterial heraus. Es entsteht ein flüssiger „Primärextrakt“.

3. Aufbereitung: Der Primärextrakt wird gefiltert, um Pflanzenreste zu entfernen. Anschließend wird das Lösungsmittel schonend verdampft, bis eine konzentrierte Flüssigkeit oder – was sehr häufig der Fall ist – ein Trockenextrakt übrig bleibt.

Dieser Herstellungsprozess ist so entscheidend, dass er das Endprodukt definiert. Man spricht vom Prinzip "product by process". Die Wahl und Konzentration des Lösungsmittels (z. B. eine 70%ige Ethanol-Wasser-Mischung im Vergleich zu reinem Wasser), die Temperatur oder der Druck während der Extraktion sind entscheidende Variablen, die jeweils zu einem Extrakt mit einer unterschiedlichen Zusammensetzung führen. Doch was genau ist in diesem Extrakt nun der Wirkstoff?

4. Das Prinzip des "Vielstoffgemischs": Der Extrakt als Wirkstoff

Hier liegt der vielleicht größte Unterschied zu chemisch-synthetischen Medikamenten. In der Phytotherapie wird in der Regel der gesamte Extrakt als Wirkstoff betrachtet. Der Grund dafür ist einfach: Oft sind viele verschiedene Inhaltsstoffe an der Gesamtwirkung beteiligt. Es ist das komplexe Zusammenspiel hunderter Substanzen, das den therapeutischen Effekt ausmacht.

Die folgende Tabelle verdeutlicht den Unterschied:

Eine Leitsubstanz ist also ein analytischer Marker. Ihre Messung stellt sicher, dass der Extrakt korrekt und in gleichbleibender Qualität hergestellt wurde. Sie ist aber meist nicht der alleinige Träger der Wirkung, sondern nur ein repräsentativer Teil des komplexen Vielstoffgemischs.

Dieses wissenschaftliche Prinzip der messbaren Inhaltsstoffe und ihrer pharmakologischen Wirkung grenzt die Phytotherapie klar von anderen Ansätzen ab.

5. Abgrenzung: Phytotherapie ist nicht gleich Homöopathie

Aufgrund der Verwendung von Pflanzen als Ausgangsmaterial werden verschiedene Therapieformen manchmal verwechselt. Die Phytotherapie unterscheidet sich jedoch fundamental von anderen Lehren.

Ihre Wirksamkeit basiert auf materiell nachweisbaren Inhaltsstoffen in messbaren Konzentrationen. Die Effekte der Phytopharmaka beruhen auf den bekannten pharmakologischen Eigenschaften dieser Stoffgemische. Die strengen Qualitätsanforderungen, von der Reinheitsprüfung der Droge bis zur Gehaltsbestimmung im fertigen Extrakt, sind im Arzneibuch verankert und unterstreichen den wissenschaftlichen Anspruch der Phytotherapie.

6. Fazit: Die Kernprinzipien zusammengefasst

Für einen Einsteiger in die Welt der pflanzlichen Arzneimittel lassen sich die wichtigsten Grundlagen in drei Punkten zusammenfassen:

1. Wissenschaftlicher Ansatz: Phytotherapie nutzt pflanzliche Drogen und Extrakte auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse und strenger Qualitätskontrollen, die in offiziellen Arzneibüchern (z.B. dem Europäischen Arzneibuch) verankert sind.

2. Der Extrakt ist der Wirkstoff: Die therapeutische Wirkung wird dem Zusammenspiel vieler Inhaltsstoffe im Gesamtextrakt, dem sogenannten Vielstoffgemisch, zugeschrieben, nicht nur einer einzelnen Substanz.

3. Materiell und Messbar: Die Wirksamkeit beruht auf den pharmakologischen Eigenschaften der materiell vorhandenen und messbaren Inhaltsstoffe im Phytopharmakon.

Vergleichstabelle zu chemischen und pflanzlichen Wirkstoffen, die Merkmale, Zusammensetzung, Wirkprinzip und Qualitätskontrolle beschreibt.